Erreichbarkeitsvision

Stadt der kurzen Wege

Viele Politiker und Organisationen in Deutschland haben erkannt, dass eine Verkehrswende dringendst notwendig ist. Gefahren und Konflikte durch Klimawandel, viele Verkehrstote und -verletzte, gesundheitsschädliche Lärm- und Abgasbelastungen, Platzmangel und ein steigender Bedarf für z.B. notwendige Klimaanpassungsmaßnahmen, wie Entsiegelungen und der Schaffung zusätzlicher Grünflächen, machen ein Handeln erforderlich. Viele Initiativen und verschiedene NGO’s, Forschungsinstitute und Firmen setzen sich für eine schnelle Verkehrswende ein. Der erreichte Fortschritt ist dabei bislang leider gering und passiert sehr langsam. Die geplanten oder getroffenen Maßnahmen die zur Verbesserung der Lebensqualität in der Stadt hinzielen, konzentrieren hierbei sich auf die Förderung nachhaltiger urbaner Mobilität, etwa durch die Entwicklung von Gesetzen zur Förderung des Radverkehrs (Changing Cities) oder Gesetze zur Entfernung des Autos aus dem öffentlichen Raum (Autofrei Berlin), oder durch Maßnahmen im Bereich Raumplanung, z.B. die die Entwicklung von Einfamilienhäusern verhindert.

Bei diesem Ansatz gibt es folgende Probleme:

  • Das Thema rund um die Nutzung des öffentlichen Raums wird politisiert, mit der Frage, ob man mit dem Vorschlag (z.B. autofrei) einverstanden ist oder nicht. Nach dieser Politisierung ist es schwer, eine gemeinsame Basis zu finden, um zu den nächsten Phasen überzugehen. Wähler und politische Parteien sind dafür oder dagegen. Es gibt kein gemeinsames Verständnis über die tatsächlichen Ziele und Auswirkungen.
  • Indem man sich auf ein Wachstum der nachhaltigen Mobilität konzentriert, aber die Stadtentwicklung und die Entfernungen nicht in die Diskussion einbezieht, kann der aktuelle Ansatz langfristig sehr negative Folgen für Städte haben. Der urban sprawl, der in den Speckgürteln rund um unsere Städte stattfindet, wird in eine nächste Stufe gehen und damit dem Ziel von weniger passiver Mobilität in der der Stadt und Region insgesamt entgegenwirken. Das Gleiche gilt für Maßnahmen, die primär gegen die Urban Sprawl abzielen.
  • Häufig gibt ein zu enges und wenig transdisziplinäres Verständnis des Problems.

Erreichbarkeit vereint die Themen Mobilität und Distanzen (Stadtplanung) in einem Konzept. Der Fokus von Erreichbarkeit liegt auf der Reduzierung von Entfernungen zwischen Zielen durch eine dichte, gemischte Stadtentwicklung sowie auf der Förderung einer nachhaltigen Mobilität zwischen diesen immer näher rückenden Zielen. Erreichbarkeit wirkt auch entpolitisierend: Es ist schwer vorstellbar, dass Vertreter einer politischen Partei, aber auch Wähler gegen eine Verbesserung der Erreichbarkeit sind.

Statt der geschlossenen Analyse von Mobilität fokussiert die Vision den ganzheitlichen Ansatz der Betrachtung der Erreichbarkeit. Mobilität bezieht sich auf Fragestellungen, wie Menschen von A nach B kommen können. Verbesserungen im Bereich der Mobilität fokussieren sich darauf, dass die Menschen ihre Wege schneller, effektiver oder ökologischer zurücklegen können. Erreichbarkeit hingegen betrachtet die Möglichkeiten, die Menschen haben, um die Orte des alltäglichen Lebens (Wohnen, Arbeiten, Erholen, Sport, Einkaufen, Ärzte, Behörden, …) leicht zu erreichen. Dabei spielen räumliche Elemente, insbesondere wo A und B platziert sind eine wichtige Rolle. Aber auch andere Faktoren, die in Abbildung 1 zusammengefasst werden, sind wichtig. 

Erreichbarkeit ist kein neues Thema, sondern seit Jahrzehnten ein Forschungs- thema in Europa und Deutschland. Die Technische Universität München verfügt z.B. über eine Abteilung für Erreichbarkeit. Die Städte München und Hamburg versuchen, die Zugänglichkeit mithilfe von Kartierungswerkzeugen quantitativ zu analysieren. Statt einer Konzentrierung auf quantitative Daten und Messungen, verwenden wir einen qualitativen Ansatz. Diese Methode bietet die Möglichkeit, das Konzept auf normative Weise anzuwenden, und so eine Vision zu entwickeln.

Unsere Angebot ist eine ganzheitliche Vision für ihre Stadt der kurzen Wege zu entwickeln. Hierbei halten wir eine fixe Zeit für alle Bereiche für wenig sinnvoll. Unser Vorschlag ist die Entfernungszeiten in Abhängigkeit der Häufigkeit der Nutzung und der Anzahl der Menschen die das Angebot nutzen zu differenzieren.

Auch betrachten wir die umliegenden Region die in Verbindung mit ihrer Stadt steht und Auswirkungen auf sie hat. Eine solche Vision sollte gemeinsam mit allen betroffenen stakeholdern (wie z.B. städtische Verwaltungen, relevante NGO’s, Wirtschaft und Experten) in einem gemeinsamen Prozess gestaltet und ausgearbeitet werden. Es soll also ein offener und unabhängiger Prozess entstehen, der wissenschaftsbasiert und bürgerorientiert ist.

Die Entwicklung einer solchen Vision bedarf den Zeitraum mind. eine Jahres. Wir betrachten es jedoch als eine wesentliche Methode, um die Situation tatsächlich zu ändern und auf eine wirklich nachhaltigeres Stadt hinzuarbeiten. 

  1. Es wird ein umfangreiches Stakeholder-Mapping zu den verschiedenen Faktoren durchgeführt. Dazu gehören Akteure aus der gesamten Gesellschaft, (Universitäten, Politik, NGOs, Unternehmen, Journalisten, …). (1-2 Monate)
  2. Aktive Förderung des Visionierungsprozesses bei allen Stakeholdern über verschiedene Kanäle. Die Website muss mit allen Informationen und Prozessbeschreibungen einschließlich der Workshop-Termine fertiggestellt werden. Interessierte können sich für mehrere Arbeitsgruppen anmelden. (1-2 Monate)
  3. Start der Erreichbarkeitsanalyse in den Arbeitsgruppen. Anwendung der vereinbarten Methoden und Instrumente, um festzustellen, wie der aktuelle Stand der Zugänglichkeit ist und welche Art von Trends die Zugänglichkeit beeinflussen. Die Workshops enthalten internationale Beispiele und Aktualisierungen darüber, was in anderen Gruppen geschieht, um die gegenseitige Beeinflussung besser abzustimmen und zu diskutieren. (2 Monate)
  4. Entwicklung eines Gesamtdokuments, das sich auf den Status quo und die Analyse der Zugänglichkeit bezieht, mit möglicherweise spezifischen Fallstudien oder Trends, die zu Problemen führen. Es wird ein großes Treffen stattfinden, auf dem alle Ergebnisse vorgestellt und die nächsten Schritte erläutert werden (2 Wochen)
  5. Die Arbeitsgruppen treffen sich zum Visionierungsprozess. Es werden die vereinbarten Methoden und Werkzeuge eingesetzt und es findet eine intensive Interaktion zwischen den Gruppen statt. Möglicherweise wird ein großes eintägiges Treffen organisiert (The NN Accessibility Visioning Day), bei dem die Teilnehmer ihre Ideen in die verschiedenen Arbeitsgruppen einbringen können. (2 Monate)
  6. Das endgültige Visionsdokument mit konkreten Handlungsanweisungen für die Implementierung wird vorbereitet und bei einem großen Treffen mit Politikern vorgestellt. Auch gibt es Empfehlungen wie z.B. die Nutzung der bereits eingerichteten Arbeitsgruppen zur Umsetzung der Maßnahmen ggf.mit eingebunden werden können und sollten. (1-2 Monate).

Wir halten diese Soziale Innovationsidee für eine, wenn nicht gar die elementare Grundlage für eine wirklich nachhaltige Stadtentwicklung.

europäisches Beispiel: Erreichbarkeitsvision Utrecht

Im Januar 2021 hat die Stadt Utrecht in den Niederlanden ihren neuen Entwurf für eine räumliche Strategie vorgestellt, die als Erreichbarkeitsstrategie gesehen werden kann. Ziel der Strategie ist es, Utrecht zu einer „10-Minuten-Stadt“ zu entwickeln, mit 4 neuen urbanen Zentren, die durch hochwertige öffentliche Verkehrsmittel miteinander verbunden sind. Grün, Sport, Bildung und Kultur sollen alle innerhalb von 10 Minuten von den Wohn- oder Arbeitsplätzen erreichbar sein. Mit diesem Ansatz ist die Stadt in der Lage, Wohnraum für mehr als 100.000 zusätzliche Einwohner im Jahr 2040 zu entwickeln, und gleichzeitig eine lebenswerte Stadt zu schaffen, in der Arbeitsplätze und Dienstleistungen den richtigen Umfang haben und mit der Stadtentwicklung wachsen.

Die Strategie befindet sich im Entwurfsstadium und ist noch in Entwicklung. In der ersten Phase sammelte die Stadtverwaltung die gesellschaftlichen Missionen, die die Stadt anstrebt (z.B. Biodiversität, Energieneutralität etc.), gefolgt von intensiven Workshops mit Bürgern, Jugendlichen und Unternehmern zu deren Bedürfnissen. In der Phase nach der Präsentation des Entwurfs gibt es mehrere Online- und Offline-Treffen und Methoden, bei denen Parteien, wie z. B. NGOs und Bürger, Verbesserungsvorschläge einbringen können. Wenn die Entwurfsversion im Jahr 2022 fertiggestellt ist, wird eine große Summe an Finanzmitteln, z. B. aus dem EU-Förderfonds Corona, verwendet werden, um die Visionskarte durch die Entwicklung von Programmen und Projekten zu realisieren.

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Mehr Infos: Ruimtelijke Strategie Utrecht 2040